Zwischen Buckeln, Burgen und Eisheiligen

Eine Radtour durch das mittelmäßigste Frühlingserlebnis seit der Eiszeit

Manchmal wacht man auf und denkt: Heute ist ein guter Tag für ein kleines Abenteuer. 16,2 Kilometer, ein paar harmlose Höhenmeter, zwei Burgen und eine entspannte Runde durch den Taunus – was soll da schon schiefgehen? Ich war motiviert. Vielleicht etwas zu sehr. Vielleicht auch bis zu einem gewissen Grad masochistisch. Jedenfalls fuhr ich gut gelaunt nach Diez, um dort meine sogenannte Buckeltour zu starten. Der Name hätte mir eine Warnung sein sollen.

Bereits das Finden eines Parkplatzes entwickelte sich zum ersten Etappenziel. Diez war in einem Zustand zwischen Belagerung und Volksfest, denn ein Flohmarkt hatte die Innenstadt komplett in seine Gewalt gebracht. Ich kurvte durch Nebenstraßen, parkte irgendwann irgendwo halblegal und schob mein Rad durch ein Menschenmeer, das mehr nach Ramsch als nach Radreise roch. Kinderwagen, Bratwürste, Rentner, die sich nicht entscheiden konnten, ob sie mir ausweichen oder einfach stehen bleiben wollten – alles war dabei. Mein persönlicher Prolog zur Tour: Stadtdurchquerung im Schritttempo.

Endlich aus dem Getümmel heraus, begrüßte mich der böige Nordostwind mit einer Umarmung, wie sie sonst nur ungeliebten Verwandten zuteilwird. Es war offiziell 13 Grad, aber gefühlt eher sibirisch. Der erste und einzige Buckel der Tour hatte es in sich. Steil, kurvig, und direkt in den Wind. Ich fuhr, als würde ich gegen eine Wand aus kalter Luft treten – und das war wahrscheinlich auch ziemlich genau der Fall. Mein Rad knirschte, meine Knie auch, aber irgendwann stand ich keuchend auf der Höhe. Dort wartete – zumindest rein geografisch – die Schaumburg. Eine Burg, die sich in einen feinen Dunst gehüllt hatte, als wolle sie mir sagen: „Schön, dass du da bist, aber viel wirst du von mir heute nicht sehen.“ Ich zückte kurz die Kamera, meine Finger protestierten wegen der Kälte, also fuhr ich schnell weiter.

Die Abfahrt nach Balduinstein hätte schön sein können, wenn nicht meine Bremsen unterkühlt und meine Motivation zwischenzeitlich unter den Gefrierpunkt gefallen wäre. Balduinstein selbst – charmant, aber enttäuschend. Die Burg war da, das war’s auch schon. Kein Zutritt, keine Führung, nicht mal ein Hinweisschild. Nur Mauern und ein stilles Kopfschütteln meinerseits. Also wieder aufs Rad und weiter.

Ab hier wurde es wenigstens einfacher. Die Lahn begleitete mich freundlich plätschernd zurück in Richtung Diez, und sogar der Wind entschied sich, mir nicht mehr frontal ins Gesicht zu schlagen. Ich kam in eine Art meditativen Radelzustand. Kein Straßenlärm, keine Steigungen, keine Flohmarktbesucher. Für einen Moment war alles gut. Ich stellte mir vor, wie ich später in Diez ein Eis esse, während mir die Frühlingssonne ins Gesicht scheint. Ha!

Zurück in Diez holte mich die Realität schneller ein als jede Geschwindigkeitsbegrenzung. Der Flohmarkt war noch in vollem Gange, vermutlich sogar in der Phase „Finale Verkaufsverzweiflung“. Glücklicherweise hatte ich mein Auto so strategisch abgestellt, dass ich mich nicht erneut durch die Menschenmassen quälen musste. Ein Griff, ein Heben, ein Klick – das Rad war verladen, bevor die erste Duftwolke von Bratfett und Sonnenöl überhaupt meine Nase erreichte. Was natürlich die Lust auf ein Eis drastisch schmälerte. Denn seien wir ehrlich: Zwischen fluchenden Flohmarktbesuchern und der Option „Ab nach Hause und mit Spatzl Erdbeerbecher in Nastätten“ war die Entscheidung schnell getroffen. Ich fuhr einfach los. Kein Ausklang auf der Parkbank, keine Kugel Vanilletraum in Diez – dafür eine Kugel Realität, garniert mit einer Prise Fluchtreflex.

Aber zum Glück gibt es ja noch Nastätten – zu Hause wartete mein Spatzl, dort war es ruhig und das Eis war lecker. Vielleicht war das der eigentliche Höhepunkt der Tour. Der Rest: eine Mischung aus Trainingsfahrt, Geduldsprobe und kleinstädtischer Parallelwelt. Und ja, immerhin hat es nicht geregnet. Für einen Tag mit den Eisheiligen ist das ja fast schon ein kleines Wunder.

2 Gedanken zu “Zwischen Buckeln, Burgen und Eisheiligen

  1. Du hast vollkommen recht – das Beste ist oft das Versöhnliche am Ende. Bewegung, frische Luft und das Gefühl, überhaupt draußen gewesen zu sein, sind eigentlich unbezahlbar.

    Und wenn man sich die aktuellen Zahlen anschaut (https://www.zdfheute.de/ratgeber/gesundheit/lebensstil-deutschland-sport-alkohol-ernaehrung-stress-dkv-report-100.html), dann wird klar: Schon ein 16-km-Buckel im Gegenwind bringt einen in Deutschland offenbar in die Oberliga der Aktivmenschen.

    Manche träumen halt vom Sport – andere machen ihn. 😉

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