Ein Ratgeber gegen die Ratgeber
Wenn man YouTube, Instagram, Facebook oder ChatGPT glauben darf – was man nicht sollte –, dann ist Radreisen eine Mischung aus Transzendenz, Flow-Zustand und minimalistischer Selbstverwirklichung. Menschen radeln mit sonnengegerbtem Lächeln durch Lavendelfelder, filmen dabei Drohnenshots und erzählen Dir in HD, dass man mit 12 Litern Packvolumen ein ganzes Jahr unterwegs sein kann.
Spoiler: Kann man nicht. Oder sagen wir so: Nicht, ohne dass es irgendwann komisch riecht.
Zeit also, den Bildschirm auszuschalten und die Mythen auf ihren luftgefederten Hosenboden zu setzen – denn Realität ist das, was übrig bleibt, wenn der Algorithmus aus ist.
Mythos 1: „YouTube zeigt Dir, wie’s geht.“
YouTube zeigt Dir, wie jemand mit 3.000 € Kamera-Equipment auf Island über eine Brücke fährt, auf der Du nie landen wirst – weil Du erst einmal in Brandenburg im Schlamm steckst.
Was Du nicht siehst: Den 4×4-Supportwagen hinter der Kamera, den Schnitt der 38 Fehlversuche beim Zeltaufbau und das Klopapier, das im Wind verschwand.
Und Du? Versuchst die perfekte Packordnung nachzubauen – mit einem Rad von 2005, 17 Kabelbindern und dem festen Glauben, dass ein Löffel als Multifunktionswerkzeug reicht.
Mythos 2: „Facebook-Gruppen wissen alles.“
Facebook-Gruppen sind die digitalen Lagerfeuer der Neuzeit – nur dass statt Geschichten meist Besserwisserei lodert. Stell dort mal eine Frage:
„Welcher Reifen taugt für Tour und Alltag?“
Antworten in Sekunden:
- „Marathon Plus oder nix!“
- „Finger weg von Schwalbe!“
- „Fahr tubeless, Du Amateur.“
- „Kauf Dir ein neues Rad.“
- „Du musst fühlen, nicht fragen.“
Ein echtes Gespräch? Fehlanzeige. Aber immerhin weißt Du nach fünf Minuten, dass Du alles falsch machst – schon bevor Du losgefahren bist.
Mythos 3: „Instagram inspiriert Dich.“
Instagram zeigt Dir Radreisen wie ein Instagram-Filter: glatt, schön, unecht.
Klar, die Alpen im Sonnenuntergang sehen toll aus. Aber niemand postet das Bild, auf dem sie fünf Stunden später frierend im Biwaksack liegen, mit einer Klopapierrolle im Arm.
Oder wie sie im McDonald’s am Bahnhof um WLAN betteln, um das nächste Hostel zu finden, weil das Zelt auf 1.800 m abgesoffen ist.
Dein Trip ist nicht schlechter – nur realistischer. Und das ist mehr wert als jedes perfekt inszenierte Müsli-Foto.
Mythos 4: „ChatGPT plant Deine Tour.“
Na gut, hallo auch von mir. Natürlich kann ich Dir Tipps geben, Strecken vorschlagen und Dich vor all den Fehlern warnen, die Du trotzdem machen wirst. Aber ich bin keine Packtasche und auch kein erfahrener Arsch.
Ich bin eine Maschine. Ich schwitze nicht. Auch scheitere ich nicht an kaputten Reißverschlüssen. Und ich esse auch kein matschiges Studentenfutter auf dem Asphalt.
Wenn ich schreibe: „Diese Etappe ist gut zu schaffen“, meine ich: für Maschinen.
Du? Wirst fluchen. Und genau deshalb leben.
Mythos 5: „Radreisen entschleunigt.“ (Reprise)
Ja, wenn man es schafft, sich von der Online-Selbstdarstellung zu lösen. Erst wenn das Handy im Flugmodus ist und Du Dich fragst, ob der Weg rechts wirklich kürzer ist oder nur fieser aussieht, bist Du da. Nicht in den Stories. Nicht im Feed. Sondern mitten drin.
Fazit:
Vergiss den digitalen Bullshit.
Wenn Du wirklich wissen willst, wie Radreisen ist, dann fahr los. Mit einem Plan, den Du vergessen kannst. Mit einer Route, die Du verfluchst. Und mit dem Willen, es trotzdem zu tun.
Du brauchst keine Tipps von Influencern, keine Meinungsschlachten in Kommentaren und auch keine künstliche Intelligenz, die Dir sagt, dass Regen „eine Herausforderung, aber auch eine Chance zur inneren Reifung“ ist.
Du brauchst nur eins: Dich. Und vielleicht eine gute Regenjacke.